Berichte von der Dünnarmfront
Vergeßt Dünkirchen 1940 – Mit ALTE KAMERADEN hatte ich 1984 meine erste Punkband, und unser beliebtester Song »Scheißpunk« begann so: »Mit meinen dünnen Armen kann ich mich doch nicht wehren, ich trete in die Eier, ich scheiße auf die Ehre.« Gefolgt von weiteren Zeilen edelster Punk-Poesie: »Ich bin ein Punk und habe keine Kraft … bin kein Muskelpaket … halt nur ein schwacher Scheißpunk«.
Live kam das Gerumple das gut an, ebenso mein Kampfruf »Dünnarmfront! Dünnarmfront!«, dem sich Schwächlinge beiderlei Geschlechts gerne anschlossen. Wir sahen uns nicht wie die Skins als Krieger, wir wollten einfach nur da sein – als Scheiß Punks, wie wir von den Glatzen beschimpft wurden. Wir von der Dünnarmfront betrachteten das als Auszeichnung.
Nein, ich nutze nicht das Stichwort, zur aktuellen Ostfront zu wechseln, sondern bleibe in der Heimat. In Hamburg, wo der ehemalige Scheißpunk Karl mittlerweile wohnt und weiter sein Dasein als Schwächling fristet. Wie gehabt mit Mini-Muskeln, alle irren Versuche in Fitnesscentern, das zu ändern, waren vergebens. Weil tief drinnen meiner Seele jede sportliche Betätigung am Arsch vorbeigeht. Und ohne Mind-Motor komme ich nicht in Schweiß, das Geackere fühlt spätestens nach fünf Minuten wie verlorene Zeit an, die ich besser nutzen könnte. Man sollte eben nichts tun, was gegen die eigene Natur ist, kommt eh nichts bei rum.
Das hatte ich schon als Kind begriffen. In der Klasse war ich der Kleinste und landete in der Pause oft im Schwitzkasten der Schul-Alphatiere, so daß ich meine Zeit lieber mit Geschichtsbüchern und Schundheften verbrachte. Der Sportunterricht war Kriegszone, ich erntete Gelächter, wenn ich mal wieder elegant beim Bockspringen auf dem Gerät hängenblieb - und den sorgenvollen Ruf »GIB AB! GIB AB!«, wenn ich beim Mannschaftsport überraschend in den Besitz der Pille kam. Meistens wurde ich als letzter ausgewählt und mußte ins Tor.
Daß ich mal selbst ein Punk-Alphatier werden sollte, hätte ich nie gedacht - und das geschah auch nicht aufgrund meines Armumfangs oder erfolgreicher Schlägereien, sondern weil mein Hirn Ideen und Pläne ausspucken konnte, die andere nicht gebacken bekamen. Wozu sicher auch beitrug, daß andere soffen und drogten bis zum Augenstillstand, während ich mich mit Mineralwasser und Fanta Zitrone begnügte.
Dafür hat mich der eine oder andere damals ausgelacht - die meisten davon lachen nicht mehr, weil ich zwar immer noch ein wassertrinkender Spargeltarzan bin, aber schlank, beweglich und putzmunter, während sie mir aus dem Jenseits zuwinken. Oder sich mit Übergewicht, Leberzirrhose, Herzproblemen oder Schlimmerem herumplagen.
Wir kriegen eben alle unsere Rechnung, und dagegen spricht auch nichts. Sorgen bereitet mir trotzdem meine schwindende Kraft. Wenn man sowieso kaum die Kiste mit dem Katzenstreu heben kann, fürchtet man sich vor dem Tag, an dem es nicht mal mehr für die Zahnbürste (egal) oder den Bleistift (SCHLIMM!!!) reicht.
Ich überlegte. Und entschied, mir die wunderbare Welt der Liegestütze zu erschließen. Das würde mir auch anderswo helfen - zum Beispiel beim Sex, falls der sich noch mal wieder Erwarten einstellen sollte. Meine unterentwickelten Brustmuskeln und mein ultimativer Wunsch, unbedingt unten liegen zu wollen, waren mehr als einmal unangenehm aufgefallen. Liegestütze als Ficktraining, das war eine gute Motivation und erzeugte gleich Bilder im Kopf. Ich sah mich als Meister der Missionarsstellung.
Wie aber den zweiten Liegestütz schaffen, wenn nicht der erste gelingt? Ich nutzte meine Erfahrung im Bett und schleppte die Hantelbank vom Dachboden. Da konnte ich unten liegen, während ich es meinen Schulter- und Brustmuskeln besorgte, und niemand warf mir vorwurfsvolle Blicke zu. Das Sportgerät hatte mir vor fünf Jahren mal jemand geschenkt und verstaubte seitdem ungenutzt in der Dunkelheit. Hantelscheiben und -stange ließ ich mir vom DHL-Boten in die Bude schleppen. Meine Form der Rache für deren häufiges Abkacken. Nun brauchte ich einen Plan. Ich wußte ja, wie man Muskeln zum Wachsen bringt: mit Eißweiß (gerne, dann gibt’s häufiger Steak und Burger), kombiniert mit täglich 30 Minuten hartem Training und Hochleistungssätzen bis zu Schweißausbruch und Erschöpfung. Und immer schön alternierend, also den jeweiligen Muskelgruppen einen Tag Pause gönnen und ihnen Zeit für Erholung und Wachstum geben.
Scheiße. Mir verging gleich wieder die Lust. So würde das nichts, ich würde nach drei Tagen schlappmachen oder an exzessiver Langeweile sterben.
Dann fiel der Groschen. Ich entwickelte »Die Bauarbeiter-Formel für Schwächlinge« - ein echtes Erfolgsmodell für alle Soldaten der Dünnarmfront. Damit bediene ich einen echten Markt in Kriegszeiten, damit werde ich REICH!
Mehr darüber demnächst in diesem Blog!