SCHLUND
Nr. 3
Nr. 3

Nie wieder Punk!

36 Jahre gefangen in Schumpfhausen

aus »Schlund«, 2018

Ich ging in die Küche, nahm ein Glas aus dem Schrank und füllte es am Wasserhahn; ich soff von früh bis spät, die ganze Woche – nur eben keinen Alkohol. An manchen Tagen bedauerte ich das; mir fehlte eine Entschuldigung, nie konnte ich sagen: »Tut mir leid wegen gestern, ich war sturzbesoffen!«

Eine hübsche Selbstzerstörung hatte eben auch ihre Vorteile, besonders, wenn man sie in aller Öffentlichkeit zelebrierte – so lautete ein elementarer Punk-Glaubenssatz!

Wo war eigentlich DESTROY geblieben? Mit Siri über Punk zu reden, war sinnlos; also buddelte ich eine Weile im Kleiderschrank, bis ich fündig wurde.

Ich zog das Shirt auf einen Kleiderbügel und klemmte es in Augenhöhe ans Regal.

»Hey DESTROY!«, fragte ich. »Wie geht’s denn so?«

»DESTROY!«, kam es zurück.

 

 

Die Reliquie der Punk-Religion war mein ganzer Stolz. Ein Vivienne-Westwood-Design aus den späten 70ern, gefertigt aus Mull-Stoff und mit Bondage-Elementen bestückt – Johnny Rotten von den Sex Pistols hatte eins davon gelegentlich getragen.

DESTROY war in einem besseren Zustand als ich; der dünne, empfindliche Mullstoff hätte meinen Bauchumfang nicht überlebt. Bei eBay ließ sich dafür ein Batzen Geld einsacken – angeblich rund 1500 Euro!

Im Fernseher plapperte ein Nachrichtensprecher mit öliger Wichtigmiene über die morgigen Feierlichkeiten in Washington; es war ein beruhigendes Gefühl, daß der labernde Lackel auf einer Einbahnstraße unterwegs war. Noch konnten die Fernsehfritzen nicht in meinen Bunker schauen, um Livebilder daraus über den Sender zu jagen; sonst würden Mr. Wichtig und Kollegen zur Jagd auf das Böse schlechthin blasen – auf mich, den NAZI!

Man hätte mich in diese Schublade gepackt, weil der Fetzen an meinem Regal einen expliziten Aufdruck trug: ein unübersehbares Hakenkreuz über die volle Brustfläche, kombiniert mit einem Bild der Queen und einem umgedrehten Kruzifix. Embleme der Welt, in der wir lebten und die wir als Punks ZERSTÖREN wollten. Weshalb das Shirt von einem großen, fetten DESTROY-Schriftzug gekrönt war und damit eine eindeutige Aussage machte.

Eher winzig hingegen das Glaubensbekenntnis aus »Anarchy In The UK«, dem bekanntesten Song der Pistols: »I am an anarchist, I am an antichrist, I don’t know what I want, but I know how to get it« – es konnte ja nicht alles großflächig und markant nach Aufmerksamkeit schreien, dafür fehlte der Platz.

»Wie zeitlos!«, mußte ich gegen meinen Willen feststellen. »Soll ich dich verkaufen?«

»DESTROY!«, kam es zurück.

»Aha. Wie viel ist drei mal sieben?«

»DESTROY!«

So war das mit dem Punk. Auf alle Fragen der Welt gab es nur eine Antwort! DESTROY – für immer und ewig! Bis ich an jenem Abend im Februar 2004 Teil der Maschine wurde. Seitdem gab es kein Vor und kein Zurück mehr, ich hatte die Orientierung verloren.

ALLES KAPUTTMACHEN schien die einzig passende Reaktion auf meinen Absturz zu sein. Und viel verlockender, als mich weiter im Selbstmitleid zu suhlen.

Punk ist meine letzte Hoffnung!

Angesichts dieser Gedanken mußte ich lachen – »letzte Hoffnung«, von wegen! In Wahrheit klebte Punk wie Kacke an meinem Sack. An allem, was ich tat. Immer wieder Punk, Punk, Punk! Besonders wenn ich hoch und heilig schwor: NIE WIEDER PUNK!

Wie war das doch? »Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten!« Egal wie oft ich die Spültaste drückte, der Schiß kam wieder hoch. Obwohl es tausendmal der Zeitgeist von vorgestern war.

Seit Jahren stocherte ich im Nebel herum. Ich rannte einer Idee hinterher, die nicht zu fassen war. Punk war mein Fundament und zugleich tonnenschwerer Ballast. Die Sex Pistols und alles, was danach geschehen war, durchdrangen noch immer mein Leben, obwohl meine Pubertät 40 Jahre zurücklag und ich nach dem Ende der Heiligen Scheine gedacht hatte, einen finalen Haken machen zu können.

Wie konnte ich die ewige Rückschau in eine Expedition jenseits des Horizonts verwandeln? Mit Vernunft und einer abgefuckten Erwachsenenhaltung war nichts zu reißen, so viel war sicher: Wenn ich bei »Anarchy In The UK« den Gesang wegdachte, erkannte ich lahmen, vorsintflutlichen Rumpel-Rock; auf diesem Monument der Steinzeit randalierte jedoch eine nicht zu ignorierende, hysterische Stimme und schlug alles in Stücke. Wie ein Betonklotz, auf dem ein Irrer tanzt. Nein, nicht Johnny Rotten. Der Irre war ich. »The problem is YOU, what you’re gonna do?«

Hört das jemals auf?, fragte ich mich. Würde ich in 30 Jahren mit Krückstock oder Rollator durch die Gegend wackeln und von alten Punkzeiten schwadronieren? Im Stil von »Opa hatte Stalingrad, wir die Chaostage«?

Mein Stalingrad nahm kein Ende, ohne die erhofften Wunderwaffen würde ich bald mit erhobenen Armen aus dem Bunker marschieren. Weil ich seit der Trennung von Barbara vor sechs Jahren daran scheiterte, einen neuen Anfang zu finden – und ebenso an dem Buch, das ich schreiben wollte und von dem ich gerne erzählte.

Damals – es scheint mir Jahrmillionen her, vor der Vernichtung der Dinosaurier durch einen Asteroiden! – war ich davon überzeugt, mit der Geburt des Punk sei eine Armee aus Godzilla, King Kong und sämtlichen Superhelden und -schurken des Universums in mein Leben einmarschiert und die lästigen Fragen von vorgestern Geschichte. Wir waren Tank Girl und Mad Max, die Türken von morgen, die Zukunft und zugleich bar jeder Chance auf diese Zukunft. Wir wollten anders vögeln und tanzen, dem Tod und auch dem Leben ins Gesicht rotzen. Unsere Gewalt sollte überzeichnet und lächerlich erscheinen, wie aus Comicheften und schlechten Horrorfilmen, unsere Freiheit so grobschlächtig, daß niemand sie mißbrauchen konnte. Nicht die Kulturmaschinerie und auch nicht Politik jedweder Art.

Wir hatten den Gordischen Knoten durchschlagen und gaben uns ewigem Rausch hin. Ähnelten Stars, die in Stadien vor Zehntausenden spielen, um Jahre später festzustellen, daß sie nur noch als Witzfiguren ihr Dasein fristen. Oder auf dem Elternabend den nächsten Schulflohmarkt organisieren.

Der Theaterdonner unserer Jugend, die Aufbruchstimmung, die Entschlossenheit, anders zu sein – alles Selbstbetrug! Eine Zeit, in der es für eine Weile von Bedeutung war, ob jemand »Punk« oder »Skinhead« war – oder »Waver«, »Hippie«, »Psycho«, »Ted«, »Popper«. Und doch waren wir lediglich in Banden organisierte Gestörte und Selbstmörder, die mit dem gewagten und erfinderischen Punk von ’76 und ’77 wenig anfangen konnten. Stattdessen entwickelten wir wie ein Indianerstamm Riten und Traditionen, die noch Jahrzehnte später bis zum Erbrechen nachgespielt wurden.

Die Erinnerung daran schien so unwirklich, künstlich und bizarr, daß eine Schlußfolgerung nahe lag:

Es ist immer noch 1975, unseren Tanz auf dem Vulkan hat’s nie gegeben! Alles eine Fata Morgana, ein Furz der Geschichte! Wir haben uns Punk nur eingebildet!

Ich vergewisserte mich, daß auf meinem Handy das Jahr 2017 angezeigt wurde. Die Zukunft. Ein dystopischer Film, in dem es Facebook, Botox und sicher bald Kopfverpflanzungen gab. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es möglich war, 30 Milliarden Songs per Apple Music oder Spotify direkt ins Gehirn zu streamen. Aber nur in eine Hirnhälfte – die andere würden Amazon Prime, Netflix und Konsorten für ihre Filme und Serien beanspruchen!

Nicht zum ersten Mal beschlich mich das Gefühl, eine Statistenrolle in einer geträumten Parallelwelt zu spielen, deren Drehbuch ein unbekannter Herrscher über Raum und Zeit geschrieben hatte. War das Leben echt, in dem ich dahinvegetierte?

Real ist aufm Platz, Facebook ist real!, redete ich mir ein. Eigentlich hätte ich in der Fußgängerzone Volksreden darüber halten müssen, wie das Bombardement aus Internet und Fernsehen unser Leben zerschredderte. Ohne das Wort »Punk« auch nur einmal zu erwähnen. Konnte doch echt keiner mehr hören, diese Worthülse!

Und dann, wenn der Einkaufsmob in der City am Jungfernstieg um mich herumstand und sich kopfschüttelnd fragte, was das jetzt wieder für ein Irrer war … ja, was dann? Stinkefinger? Oder draufhauen?

 

 

Ein Glas Wasser später die Erkenntnis: Ich hatte mich in der Wüste Gobi verlaufen und konnte es beweisen – durch eine winzige sprachliche Änderung. So wie früher in den Fix-und-Foxi-Heften, wo die Schlümpfe ihren ersten Auftritt in Deutschland hatten.

Ich hatte immer zwischen allen Schlumpf-Welten gestanden. Nie konnte ich mich entscheiden, ob ich mich wie ein 77er-Schlumpf radikalster Individualität verschreiben sollte – oder lieber als Straßenschlumpf mit der besoffenen Schlumpfmeute durch die Stadt ziehen und die Welt in Angst und Schrecken versetzen.

Nun grummelte ich als Miesepeterschlumpf in meiner Bude vor mich hin und war weder Alt- noch Jungschlumpf, vielleicht noch nicht mal Ex-Schlumpf. Mein letzter Rest Schlumpf waren ein paar Brocken Schlumpfscheiße am Sack. Ich gehörte nicht mehr zu den Schlümpfen, ach, eigentlich war ich nie ein echter Schlumpf, sondern nur ein Schlumpf.

Das war auch anderen bereits aufgefallen.

»Wie hast du es so lange in der Schlumpf-Szene ausgehalten?«, hörte ich dann. Ohne Suff, Drogen und andere Varianten der Hirnamputation. Gute Frage, nächste Frage!

Vor einiger Zeit schrieb jemand in einem Facebook-Kommentar: »Der Nagel hat mit Schlumpf nichts zu schaffen. Der will nur provozieren.« Wenn das stimmte, sollte ich wieder meine alte Schlumpfjacke anziehen, als weitere Demonstration des Aberwitzes. Auf 22 machen, obwohl ich 56 war. In einer Schlumpfkneipe oder auf einem Schlumpfkonzert. Dann würde ich schreien: »Was Schlumpf ist, bestimme ich!« Und was wäre dann passiert?

So weit, so Schlumpf, ein Sturm im Wasserglas. Mich auf Punk zu berufen, das erschien mir lächerlich. Zumal ich bei der Goldenen Kamera bewiesen hatte, daß alle Punk-Schwüre Geschwätz waren und ich höchstens zur Witzfigur taugte. Zum Schlumpf.

Zwar wußte außer Barbara kaum jemand von meinem Job bei Springer, aber ich wäre mir wie ein Karnevalsdepp vorgekommen, hätte ich noch mal die alte Punk-Kluft übergezogen. Andererseits – das ließ sich als Steinbruch für ein bizarres Buchkapitel verwenden! Ich mußte die frischen Gedanken Fleisch werden lassen, bevor sie wegrieselten, also kloppte ich sie fix in die Tasten: »Ich zog die alte, schwere Nietenjacke über und merkte gleich, daß sie nicht mehr paßte. Der Reißverschluß ging nicht zu, mein Bauch, na ja, fast 30 Kilo mehr als damals. Ich betrachtete mich im Spiegel und lachte, dann marschierte ich auf die Straße und prüfte aus den Augenwinkeln, ob mich jemand wegen meiner Verkleidung scheel ansah. Es war Sommer, und mit Lederjacke …«

PLING!

»He, Alter, was geht?«, quoll es aus dem Facebook-Chat. Oje. Irgendeine Pappnase, ein »Freund«, der sich bei hier »Herbert Hass« nannte. Machte auf vertraulich, obwohl wir uns nie über den Weg gelaufen waren. Wenn ich schon die Fresse halten sollte – warum konnte die Welt nicht mit leuchtendem Beispiel vorangehen? Oder wenigstens so lange, bis ich besser drauf war?

Stattdessen spuckte der Chat den nächsten Satz aus.

»Bin echt dein größter Fan!«

Ich tippte »Fans sind Sklaven«, während aus dem Wohnzimmer ein »DESTROY!« herüberröhrte.

»Geiler Joke! Wie in alten Zeiten!«, meldete sich Herbert wieder zu Wort.

Ich schloß die Augen und sah ihn vor mir, klar und deutlich: mit Basecap, in einem oft gewaschenen Shirt der Heiligen Scheine.

»Du warst immer mein Vorbild«, sagt der Fan und blickt verlegen zu Boden. »Du hast mein Leben verändert!«

Er sucht nach Worten. Dann findet er welche.

»Niemals aufgeben, nie vergessen … Wir sind wir, weil wir wir sind, und weil wir wir sind, sind wir wer!«. Das Fußballgejohle, mit dem er das absingt, klingt grenzdebil. »Nie vergessen!«, wiederholt er.

»Mach mal halblang«, sage ich. »Mein Gedächtnis ist gut.« Wie könnte ich einen derartigen Ohrwurm vergessen? Hab den Song doch selbst geschrieben. Den größten Hit der Heiligen Scheine.

»Du bist immer wieder aufgestanden, wenn das Leben dich umgehauen hat. Fucking MooOO-PED! – du wirst auch diesmal der Welt zeigen, daß sie dich kreuzweise kann! So wie Kevin von den Böhsen Onkelz.« Er macht auf Klitschko und ballt seine Pranken zu Fäusten.

»HALLELUHJA!«, schreie ich und recke beide Arme. »Ich bin Jesus Christus! Ich werde wiederauferstehen!«

Mein Gegenüber greift sich an den Kopf. Der Typ ist unsicher, ob ich ihn verarsche oder er das unfaßbare Glück hat, Zeuge eines oberwitzigen Auftritts seines Idols zu sein. Oder denkt »Heilige Scheiße! Den Nagel hat’s erwischt!«

Auf keinen Fall weiß er, daß ich weiß, daß das hier alles nur Kopfkino ist. Der Fan als mein eigener Geistesfurz durch die Gegend läuft. Ganz normal bei mir – durch meine Birne rattern mehr Tweets als in jeder Timeline, ohne Gesprächspartner gehe ich nicht ins Bett. Tags zuvor habe ich mit Elvis gesprochen, vor 40 Jahren mit Perry Rhodan.

Ich lege der Puddingbirne meinen Arm um die Schultern.

»Nimm’s nicht so schwer, Herbie – du mein größter Fan!«, tröste ich ihn. »Wir haben einiges gemeinsam. Wir fressen, scheißen und pissen. Und wenn der Hammer fällt, gehen die Lichter aus. Würdest du nicht gerne in der Altsteinzeit leben? Als Menschen noch mit Keulen aufeinander einschlugen, weil sie weder Internet noch Handy besaßen? UGA-UGA!«

»Weiß nicht, was du meinst«, kommt es zurück. »Kenne mich in Geschichte nicht so gut aus.«

»Hast du außer Harry Potter schon mal ein Buch gelesen?«

»Nee«, antwortet Herbie. »Bin doch nicht bescheuert. In der Zeit kann ich ewig lang mit der Playstation daddeln. Oder Nudeln mit Ketchup futtern. Odern büschen figgen. Mösenschleim und Nillenkäs gibt die beste Majönäs. Hehe.«

Der Kerl ist wirklich ein Fan, sein ganzes Vokabular mit unseren Songs durchsetzt.

Ein letzter Versuch: »Schau dir Frankenstein mit Boris Karloff an! Dann checkst du vielleicht was!«

»Klar, mach ich!«

Wird er natürlich nicht tun, wenn er herausfindet, daß der Film über 80 Jahre alt ist. Kein Dolby Surround, kein CGI, kein 3D, nichts Animiertes, nur ödes Schwarzweiß.

Ich klappte den Laptop zu. Letzter Ausweg Filmriß, das Gedankengelaber stoppen. Zeit für einen Ortswechsel, überstürzte Flucht ans rettende Ufer.

SOFORT!

Teile dieses Beitrags (Text, Bild, Audio, Video) wurde mit KI-Unterstützung zusammengeschraubt. Wenn Du wissen willst, wie das funktioniert - Karl lehrt die Anwendung von Künstlicher Intelligenz für Autoren, Illustratoren und Musiker.
AUDIOS ZUM BEITRAG
DOWNLOADS ZUM BEITRAG

Karl steckt in der Klemme, klar - aber wie konnte es so weit kommen? Um diese Frage beantworten zu können, geht es in der nächsten Folge per Zeitmaschine in die Vergangenheit, in die 60er Jahre!

Die Folge heißt

SCHMUTZIGE FILME

FÜR DIE GANZE FAMILIE
JETZT BESTELLEN!
ACHTUNG!
Ihr Computer ist eingeschaltet!
Sie sind mit dem Internet verbunden!
Hier werden SESSIONS und COOKIES verwendet!
Die Inhalte dieser Website könnten Sie verunsichern!
MINDERJÄHRIGE könnten in ihrer Entwicklung gestört werden!

MACHT IHNEN DAS ANGST?

WOLLEN SIE DAS WIRKLICH?

DENKEN SIE GRÜNDLICH
DARÜBER NACH!