SCHLUND
Nr. 2
Nr. 2

The Day Before Tomorrow

13 Jahre später

aus »Schlund«, 2018

Donnerstag, 19.01.2017, 6:30 Uhr

 

AUFWACHEN, befahl das iPhone und hämmerte »Das wahre Leben« von Cotzbrocken in meinen Traum; Punkrock ohne Gnade. Das perfekte Vorspiel eines Wochenendes, das alles verändern würde. 36 Stunden später klangen alle Glocken.

Ich erinnere mich gut, wie das vielarmige Ungeheuer verblaßte und ich im Dunkeln nach dem Handy fingerte – abgesehen davon begann der Tag wie jeder andere: Ein Knopfdruck, ein paar Klicks, Twitter geöffnet, mein Gesicht zur Grimasse verkrampft, ohne Chance, die zerquetschten Ameisen auf dem Display in Buchstaben zu verwandeln. Auch an diesem Morgen mußte die digitale Krücke des iPhones ran.

»Hey Siri, ist die Welt noch da?«»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.«

Ihre Stimme gefiel mir, für ihre Antworten hätte ich sie am liebsten ins Arbeitslager geschickt.

»Du willst mich bloß nicht verstehen«, versuchte ich zu provozieren.

»Ok.«

»Arschloch.«

»Ich versuche nur, dir zu helfen, Karl.«

»Du kannst mich mal.«

»Wenn du meinst.«

Ich hielt Siri an meinen Arsch, doch sie ließ keine Taten folgen. Ich gab auf und versuchte es mit den Augen, ganz altmodisch. Nach einer Weile gelang es mir, Worte und zuletzt Sätze zu entziffern; der Neustart der Sinne schien abgeschlossen.

 

 

Innerhalb von drei Minuten hatte ich mir einen Überblick verschafft, und wie jeden Morgen wurde meine Hoffnung auf das Jüngste Gericht enttäuscht. Raumschiff Erde war noch da – wenn ich dem Internet Glauben schenkte – und folgte unbeirrt seinem Kurs durchs All. Spiegel Online und Konsorten verbreiteten routiniert die Durchhalteparolen des Imperiums, unterstützt durch Schlaftabletten und Textbausteine von Merkel, Putin, Erdogan und weiteren geschwätzigen Lautsprechern.

Und morgen sollte Donald Trump als 45. Präsident der USA vereidigt werden. »Das ist das Ende der Welt, wie wir sie kennen«, hyperventilierte ein Schwätzer namens Flüstertüte in der Kommentarspalte der Welt. »Leere Versprechungen!«, murmelte ich. Darauf fiel ich nicht länger herein.

Anfang der 80er hatte ich »Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei« skandiert und Zeilen wie »Alles geht kaputt, alles geht in Schutt, und ich lach!« mitgesungen, der Untergang konnte mich nicht schrecken. Vielleicht zog er es deshalb vor, sich häppchenweise in mein Leben zu schleichen.

Vor nicht einmal zehn Jahren war DAS ENDE DER WELT in erster Linie ein Steckenpferd von Science-Fiction-Autoren, religiösen Spinnern, Punks und Death-Metal-Musikern – nun schrien Wutbürger und Sparkassenangestellte die Apokalypse herbei, sie schien unvermeidlich.

Daraus leitete ich den Anspruch ab, nicht länger vertröstet zu werden. Ich wollte keine schleppende Klimaerwärmung mit gemütlich schmelzenden Polkappen, sondern ein Feuerwerk: New York, vernichtet durch die Atombombe, die endgültige Seuche, entwischt aus einem vietnamesischen Hühnerstall oder geheimen Bio-Labor in Arizona. Der Bundestag gesprengt, egal von wem; Ideen dieser Qualität hatte ich zur Genüge.

Seit Jahren wartete ich darauf, daß der 11. September 2001 zur unbedeutenden Episode verblaßte. Wischt die Scheiße ein für alle Mal vom Tisch, ihr Versager! Arnold Schwarzenegger hat’s vorgemacht – wo ist das Problem?

Die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, war eine abwegige Idee. Die Ereignisse am Berliner Gendarmenmarkt hatten bewiesen, daß ich für derartige Aufräumarbeiten nicht genügend Courage besaß. So sah es an diesem Morgen jedenfalls aus, weshalb ich ein reines Gewissen hatte. Es war nicht meine Schuld, wenn der Affenzirkus in die Luft flog.

Meine einzige Chance, das nächste Level zu erreichen, schien ein harter Reset zu sein. Auf daß die Spielkarten neu gemischt wurden und sich die mich umgebenden Gefängnismauern von einer Sekunde zur anderen in Luft auflösten – sich als sadistisches Trugbild entpuppten!

Daß ich gefangengehalten wurde, davon war ich überzeugt, obwohl ich mir über die Natur meiner Unfreiheit bislang nicht im Klaren war. Ich befürchtete aber, daß ich für die Irrwege meines Lebens büßen sollte. Die Länge der Strafe kannte ich nicht, aber wenn ich nicht die Kurve bekam, sah es nach lebenslänglich aus.

Eine Situation, in der ich nicht das erste Mal steckte. Mit zwanzig hatte ich tagelang in meiner 25-Quadratmeter-Wohnung in Wuppertal-Oberbarmen auf dem Bett gelegen, an die Decke geglotzt und auf Erlösung gewartet. Bis ich die Realität zertrümmerte und meine eigene aus Nieten und Leder zusammenklöppelte. Den Job wollte mir ja niemand abnehmen.

Nun war ich 56, lebte mit unzähligen Schundheften und einem Untermieter auf 75 Quadratmetern in Hamburg-Bahrenfeld und hatte mein Pulver verschossen. Der Trick von ’81 würde 2017 nicht funktionieren – dafür war ich zu alt: ein in die Jahre gekommener Joe Dalton, in der Zelle tobend, Eisenkugel am Bein, doch ohne William, Jack und Averell chancenlos, auch nur einen Bonbonladen auszurauben. Ohne meine Brüder fehlte mir jede Idee, was ich in der Welt da draußen anstellen sollte, also verbrachte ich die meiste Zeit allein in der Bude. Die nicht nur ein Knast war, sondern auch ein Bunker, mein letztes Asyl. Was mich nicht davon abhielt, tagtäglich Explosionen und einstürzende Mauern zu ersehnen. Ich wollte, daß es knallte.

Damit diese Träume wahr wurden, mußte ich den Arsch in Bewegung setzen. Jetzt!

 

 

Wettercheck, 4 Grad plus, in den Mails nichts als Spam. Ich stieg vom Hochbett und blickte aus dem Fenster. Mein iPhone log nicht: Alles noch da, die Autos vorm Haus standen in Reih und Glied, die Bäume ohnehin. Eine S-Bahn fuhr quietschend in den Bahnhof Diebsteich, um die besinnungslosen Massen durch die Dunkelheit zur Arbeit zu bringen, aus einem Lautsprecher verkündete eine glucksende Roboterstimme die Anweisungen der Ordnung.

Das waren Momente, in denen ich mir einen Kasten Bier herbeiwünschte. Oder einen anderen Trick, dem Tag nicht in die verlogene Visage blicken zu müssen. Aber derartige Zirkusnummern hatte ich nie erlernt; außerdem brauchte ich jederzeit einen klaren Kopf für die Flucht aus Alcatraz.

Nachdem ich den Fernseher eingeschaltet hatte und das ZDF-Morgenmagazin den Bunker mit der Soundkulisse einer Wohngemeinschaft zu füllen begann, stieg ich in die Pantoffeln und schlurfte ins Büro; eine übersichtliche Aufgabe, weil nur ein Zimmer weiter gelegen. Dort startete ich den Computer.

Während der Laptop hochfuhr, versank der Morgenschiß im Klo, begleitet von murmelnden Stimmen, die vom anderen Ende der Wohnung zu mir herüberdrangen.

Auf die Waage, 99 Kilo, noch mal davongekommen! Dann im Stechschritt zurück ins Wohnzimmer, wo ich auf ein Gesicht prallte, das mich auf 55 Zoll angaffte. »Die USA sind ein gespaltenes Land«, verkündete die Moderatorin mit besorgter Miene, und vermutlich erwartete sie, daß ich genauso beunruhigt zurückblickte. »Wie sehr wird Trump Amerika verändern?«

Keine Ahnung, weshalb fragte sie das mich?

Ich nahm die Vortagsklamotten vom Boden und schlüpfte hinein. Dann ging es endgültig ins Büro, wo mich mein kampfbereites MacBook samt angeschlossenem Monitor anstrahlte, der digitale Altar für eine neue Runde durchs Web. Die ganze Chose von vorn: volles Brett auf 33 Zoll statt Handy-Mäusekino, die Fürze des Systems in der ersten Reihe schnuppern!

 

 

SO LITTEN DIE 13 GESCHWISTER IM HORRORHAUS ++ KINDER WURDEN ANGEKETTET, GESCHLAGEN UND STRANGULIERT ++ NUR EINE MAHLZEIT AM TAG ++ EINMAL IM JAHR DURFTEN SIE DUSCHEN – mit diesem prickelnden Grusel-Krimi befriedigte BILD meine Lust an einer teuflischen Geschichte, was fürn geiler Scheiß!

Dann fiel mir UNTENRUM RASIEREN LOHNT SICH IM DSCHUNGEL NICHT ins Auge, dazu drei TV-Fressen – eindeutig Dschungelcamp, schnarch.

DEUTSCHER ISIS-TERRORIST DESO DOGG IST TOT lag eher auf meiner Wellenlinie. Metzelvideos sprudelten aus der Erinnerung, wie unter Zwang wechselte ich die Front. Ab zu YouTube, mich mit Blutfontänen aus Syrien besudeln lassen. Zerfetzte Kinderleichen frei Haus, Horrorfilme fern von Hollywood.

Bereits vorm Frühstück hing mein Schädel schwer wie eine Bowlingkugel über die Reling des Schreibtischs und kotzte Fischfutter in den Ozean. Keine Chance, den digitalen Fraß zu verdauen.

Ich trank zwei Gläser Wasser und drückte ein paar Käsebrote rein. Kohlenhydrate, Proteine und Fett braucht das Volk. Duschen kann ich morgen. Achselschweiß ist ok, Menschen stinken – mein Bunker, meine Regeln! Pass bloß auf, Berger – wie oft habe ich dir schon gesagt: Was Punk ist, bestimme ich!

Sogleich ärgerte ich mich, daß ich wieder einen Gedanken an Berger verschwendet hatte. Lieber wäre es mir gewesen, jede Erinnerung an den widerlichsten Quälgeist des Universums hätte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Ich mußte ihn komplett ignorieren, um meinen Schlachtplan für den Ausbruch zu schmieden. Heute!

 

Ich posierte vorm Spiegel, stemmte die Hände in die Hüften und zog den Bauch ein. Zeit für meine Lieblingsrolle. Es galt, Erstaunliches zu vollbringen; ohne Ziel, ohne Sinn, Hauptsache, es reichte für die Geschichtsschreibung.

»Nicht lange fackeln!«, rief ich mir zu. »Rücken gerade, Arschbacken zusammen, den Belagerungsring der feindlichen Horden sprengen – der Kampf geht weiter! Bis zur letzten Patrone! Parole für heute, wie immer: RAUS AUS DEM BUNKER, RAN AN DIE FRONT!«

Genau: Volles Vertrauen in die ultimative Wunderwaffe, die ein Ingenieur in meinem Hinterkopf konstruierte, die den Krieg entschied!

»Eva, ab sofort wird zurückgeschossen!«, fuhr ich fort und versuchte, meiner Stimme einen scharfen und entschiedenen Klang zu verleihen. Das Volksgemurmel aus dem Wohnzimmer deutete ich als Zustimmung.

Dabei hatte ich gar keine Eva. Ich war ein Schwätzer, ein Nerd und Spinner, den niemand ernstnahm, wenn er seine Entdeckungen der Welt offenbarte. Stattdessen tratschten sie hinter vorgehaltener Hand über mich. Über den alten Punk, der seine Bude mit Comics, Perry-Rhodan-Heften, Büchern, Platten und Punk-Devotionalien vollgemüllt hatte und die angeblich Verschwörungstheoretikern als Treffpunkt diente. Was an sich keine schlechte Idee war: mein Führerhauptquartier im Kampf um Das Wahre Leben!

Und jetzt? Gedanken ordnen, aaaaatmen, eins, zwei, drei, vier. He … was soll das?

Meine Maushand entwickelte ein Eigenleben, klick-klick-klick! Spiegel Online. Welt. BILD. Zeit. Süddeutsche. Sie übernahmen die Kontrolle! Die Hand war scharf auf Erschütterungen aller Art und wollte nichts verpassen. Irgendetwas mußte passiert sein!

Aber nix los im Internet. Seit heute früh ein dutzend Mal die gleichen Nachrichten verschlungen, mit unterschiedlicher Würze und doch überall derselbe fade Geschmack. Neues? Fehlanzeige! Entweder die Selbstmordattentäter, Despoten und Triebtäter schliefen noch – oder die Journalisten!

Welt, dreh dich schneller!, tobte es in mir. Laß krachen, Amigo! Warum gab es den Hähnchenbrater »Los Pollos Hermanos« in Breaking Bad, aber nicht hier im Block? Ich forderte Pogo mit der Drogenmafia! Oder eine Nazi-Kneipe vor der Tür, mit Aufmärschen dafür und dagegen! Chaostage wären auch ok gewesen, solange niemand erwartete, daß ich deshalb den Bunker verließ. Ein bequemer Fensterplatz reichte mir.

Wenigstens der DHL-Bote könnte klingeln! Ich war nicht anspruchsvoll.

Ab ins Wohnzimmer zur Glotze, aber auch dort passierte nichts. Keine EILMELDUNG, sondern gespielte Aufregung um die Frage WAS WUSSTE WINTERKORN? Interessierte das wen? Mich jedenfalls nicht.

Ich verfolgte eine Weile das Treiben der Anzugträger und Machtmenschen. Betrachtete auf dem Flachbildfernseher Wesen, für deren Existenz ich meine Hand nicht ins Feuer gelegt hätte. Und niemand war da, mit dem ich den Ernst der Lage beraten konnte; mein Mitbewohner war seit sieben aus dem Haus und ging längst irgendwo am Flughafen seiner Arbeit nach.

Ich riß mich zusammen und kehrte ins Büro zurück. Schluß mit den Ausflüchten und Ablenkungen, ich mußte mich fokussieren, es stand Essentielles auf dem Zettel: AUSBRUCH hieß der erste und wichtigste Punkt auf der Tagesordnung! Der SCHLACHTPLAN! Tunnel buddeln, Wärter austricksen, Klamotten wechseln! Im Vergleich dazu war alles andere nebensächlich, weshalb ich meinen Job auf den Nachmittag verschoben hatte.

Ohne Ziel würde der Ausbruch scheitern, so viel war klar. Ich mußte etwas wollen. Wollen. Trommelte mit den Fingern eine Weile auf dem Schreibtisch herum, begann an den Fingernägeln herumzunagen. Weil ich genau jetzt eine Idee brauchte, mit der ich das Spiel herumreißen konnte! Jeder Vorschlag war willkommen, jeder hingeworfene Knochen.

So sehr ich mir auch die Birne zermarterte, ich hatte nicht den Hauch einer Idee. Nur abgegessene Mißerfolgsrezepte. Ich war längst ein Experte in Ausbrüchen, die garantiert fehlschlugen.

Ok, dann eben mit der Brechstange: 30 Sekunden später stand ich nach einen erneuten Sprint ins Wohnzimmer wieder vor dem Schreibtisch, Stahlhelm aufgesetzt, mit erhobener Axt. Bereit zuzuschlagen. Der Helm stammte aus Beständen der Roten Armee, bei eBay abgegriffen. Das Beil besaß ich schon seit über 30 Jahren, ich hatte ihm den Namen Anwalt gegeben.

Anwalt hatte einen festen Platz an meinem Hochbett, wo er griffbereit auf seinen Einsatz wartete. Der Gedanke, in schwierigen Situationen mit dem Anwalt drohen zu können, hatte mir gefallen.

Weil sich die Ideenlosigkeit nicht per Anwalt in die Flucht schlagen ließ und mich die im Wohnzimmer ausgetragene Handball-WM nicht interessierte, legte ich Axt und Russenhelm beiseite und wandte mich wieder dem Spektakel zu, das im Internet bereitstand: Würde mich die Muse bei Spiegel Online küssen? Mit Fassbomben? Giftgas? Erdogan? Donald Trump? NEIN! AUS! Konzentration! Durchhalten, Karl! LOS, BLITZ, SCHLAG EIN! DIE UHR LÄUFT!

Ohne Vorwarnung blies mir der faulige Atem des Internets aus einer anderen Richtung ins Gesicht. Eine unbezwingbare Kraft trieb mich zu Facebook. Widerstand war zwecklos. MUSS-DA-HIN!

Ganze Hundertschaften ehemaliger Kumpels und Weggefährten wohnten dort, so auch ich. Weil ich nicht einsam im Bunker verrotten wollte. Punkrock hatte bei Facebook ein Reservat gefunden, und Zuckerberg diktierte den rebellischen Indianern von einst die Spielregeln. Kein Platz für Ausbrüche. Eher für Einbrüche. Meiner Konzentration.

Hör auf zu lachen, Berger! Ich hatte nicht vergessen, worüber das blitzgescheite Scheusal bereits vor Jahren doziert hatte: »Ohne Facebook wirst du zum sozialen Paria! Die Leute tauschen sich da aus, alle Freunde und Bekannte sind mit an Bord, keiner will von gestern sein; wer bei Facebook nicht mitmacht, sitzt bald einsam als Waldschrat in einer Holzhütte.«

Ok, gewonnen! Hände an die Hosennaht und prüfen, was sich in den letzten Stunden an der Front getan hatte: Dreizehn neue Kommentare, meine Follower hofften, daß Karl Nagel öffentlich die Hose runterließ und auf die Tastatur onanierte, als Beweis, daß er nicht gestorben war.

Unangenehmer waren die Giftspritzer, die sich Anerkennung verdienen wollten, indem sie mir vor die Tür schissen. Besonders dann, wenn ich bei Facebook über Facebook abkotzte – den Guten Diktator. Damit machte man sich keine Freunde.

Ich löschte ein Arschloch. »Deinen Dreck will hier niemand lesen, alter Mann! Leg’ dich in die Kiste!«, hatte da gestanden. »Als Sänger der Heiligen Scheine warst du ein geiler Typ. Aber jetzt HALT EINFACH DIE FRESSE und jammere uns nicht die Ohren voll!«

Das war der Ton, der in Zeiten wie diesen vorherrschte. Früher gab es die SS, in der digitalen Gegenwart räumten Hater hinter der Front auf; die Freude am Tritt in die Eingeweide wollte nicht aussterben.

Gut, hielt ich eben die Fresse. Lieber widmete ich mich eh den Profilen der Weiber, die ihre Spuren auf meiner Seite hinterlassen hatten. Facebook war das Tinder für Arme, ohne die Möglichkeit, nach links oder rechts zu wischen. Nur Wichsen ging.

Aber nicht an diesem Tag. Da funkte nichts. Keine Erektion aus der gähnenden Leere, und erst recht keine Gesichter, die es mit meinen Phantasien aufnehmen konnten. Noch nicht mal mit meiner Ex.

Ich trank einen Schluck Wasser aus der Flasche.

»Hey Siri, was habe ich mit Barbara falsch gemacht?«

»Ich finde dich cool.«

Daß Siri mein Elend nutzte, mich vollzuschleimen, gab mir den Rest. In diesem Moment bedauerte ich zum ersten Mal aufrichtig, das Lügengebäude nicht in die Luft gejagt zu haben. Damals, bei der Goldenen KameraDAS wäre ein Ausbruch gewesen! Dann säße ich jetzt zwar ebenfalls hinter Gittern, aber immerhin echten! Die Kuh wäre vom Eis, mein Statement klar. Vorbei das lächerliche Anrennen gegen unsichtbare Mauern. Kein Internet mehr, kein Telefon, kein Siri, nur herrliche Ruhe.

»Du feige Sau!«, brüllte mir Biff Tannen aus Zukunft oder Vergangenheit ins Hirn.

Das leere Wasserglas neben dem Monitor verwandelte sich unvermittelt in eine Cruise Missile für HB-Männchen und zersplitterte an der Wand. »NIEMAND NENNT MICH FEIGE SAU!«, kreischte ich und tänzelte wie ein Wrestler auf Adrenalinzäpfchen durchs Büro. Insgeheim hoffte ich, daß Doc Brown endlich auftauchte und mich mit dem Delorian aus dem Treibsand zog.

 

Als mir bewußt wurde, daß ich mich zum Affen machte, atmete ich tief durch und setzte mich wieder.

Laß dich nicht provozieren!, dachte ich. Sei lieber froh, daß die Trennung von Barbara ohne größere Kriegshandlungen über die Bühne gegangen ist! Dank einer Wagenladung konstruktiver Lösungen und gegenseitigem Verständnis, ganz ohne Amoklauf. Das war einwandfrei die bessere Alternative, nicht wahr? NICHT WAHR?

Die Geschichte mit Barbara hatte ich an die Wand gefahren, weil ich ein unverbesserlicher Sonderling war, daran gab es trotz Siris Stiefellecken nichts zu rütteln. Ich war nicht für das Konstrukt »Ehe« geschaffen.

Auch nach der Trennung wohnten wir weiter im gleichen Mietshaus – Barbara und Lena in der vierten Etage, ich in der ersten. Da ich unsere Tochter täglich sehen wollte, zog ich nicht fort; außerdem hatten die Mieten in Hamburg mittlerweile schwindelerregende Höhen erreicht, was jeden Umzug innerhalb der Stadt zum Scheitern verurteilte. Ich hatte mich damit abgefunden, in diesem Haus alt zu werden – eine Vorstellung, die mir erträglich schien, weil die Nachbarn ein umgängliches Biotop bildeten und mit Barbara friedlich auszukommen war.

Die Trennung war mir nicht leichtgefallen, meine Flucht hatte ein paar unschöne Spuren hinterlassen. »Manche Dinge muß ein Mann mit sich ausmachen«, erklärte ich, wenn jemand mehr wissen wollte; das hörte sich erwachsen an. Tja.

Die Scheidung im Juli vergangenen Jahres war das I-Tüpfelchen, ein kurzer Prozess: 13 Minuten, zack, bumm, aus!

Hinterher in die Bäckerei, zur Nachbesprechung.

»Alles bleibt wie gehabt«, hatte ich gesagt. »Ich schleppe deine Einkäufe hoch, Lena bekommt mein altes iPhone. Uns trennen nur drei Stockwerke, du kannst dich weiterhin auf mich verlassen.«

Mein neues Leben roch nach Freiheit. Ich fand mit David einen Mitbewohner, und zusammen lebten wir in einer »Jungsbude«, wie Barbara treffend bemerkt hatte.

»Sollte mal ’ne Putzfrau durchwirbeln, Karl«, sagte sie. »Besonders übers Klo.«

»Kannst gerne bei uns saubermachen«, antwortete ich, wir lachten.

So war das mit Barbara und mir. Es herrschte kein Krieg, wir pflegten einen entspannten Umgang, der Blick nach vorn war frei. Wobei ich keinen blassen Schimmer hatte, was es da zu sehen geben könnte.

Die Zeiten, in denen ich mich als Superpunk Nagel im Zentrum der Apokalypse gesuhlt hatte und durch bloße Anwesenheit Ordnung in Chaos verwandelte, waren vorbei, dafür gab es zahllose Belege. Jetzt herrschte das Chaos nur noch im Kopf, in meinem Leben passierte gar nichts. Nichts. Überhaupt nichts.

Wie eine verzweifelte Kakerlake tanzte ich auf der heißen Herdplatte. Die Tage und Nächte schienen nach einem immergleichen, unveränderlichen Schema abzulaufen, meine Ausbruchspläne kamen keinen Millimeter voran. Dennoch standen sie jeden Morgen ganz oben auf der Liste. Niemals aufgeben!

Manchmal dachte ich, ich sei in einer Zeitschleife à la Star Trek gefangen. Ich schrie nach der Enterprise und auch nach Perry Rhodan, aber die hatten genug damit zu tun, ihr Schiff und die Menschheit zu retten. Keine Antwort aus dem All.

Im Marvel-Universum war der Gewaltige Hulk mehr als einmal zum schwächlichen Bruce Banner geschrumpft – in meinem Leben Prinz Eisennagel zur Heftzwecke. Alles wird ein schlimmes Ende nehmen!, heulte ich in mich hinein.

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Gibt es noch Hoffnung nach diesem Morgengrauen? Hat Karl noch eine Chance, seinem Leben eine Wendung zu geben? Und gibt es vielleicht einen Weg zurück, zu einem neuen Anfang?

Erfahrt mehr kommenden Montag bei HACKFLEISCH in Folge 3 mit dem Titel:

NIE WIEDER PUNK!

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