Nr. 668

Waggon 7 – Meier muß pissen

1. Der zivilisierte Mensch

 

Meier muss pissen. In der U-Bahn eine delikate Angelegenheit von höchster soziologischer Brisanz. Seine Blase pocht im Rhythmus der verordneten Scham.

Es ist früher Abend, Meier hat einen draufgemacht, mit den bekannten Folgen. Was reinlief, will nun wieder raus.

Er mustert die anderen Fahrgäste. Sie alle haben diese spezielle U-Bahn-Miene aufgesetzt: Eine sorgfältig einstudierte Mischung aus weltabgewandter Teilnahmslosigkeit und wacher Körperspannung, bereit, bei der kleinsten Grenzverletzung empört aufzublicken.

Meier verlagert das Gewicht von einem Bein aufs andere und zählt die Fahrgäste. Genau 21 im Wagen. Noch mal zählen. Wieder 21. Mit ihm 22. 9 Frauen, 12 Männer, 1 Baby

Einundzwanzig Experten der sozialen Distanz, denkt Meier. Hochqualifizierte Meister im So-tun-als-wäre-man-allein. Dabei pressen sie sich wie Ölsardinen aneinander, atmen die gleiche abgestandene Luft, teilen ihre Körpergerüche - aber bloß keinen Blickkontakt. Bloß nicht die heilige Illusion der Privatsphäre durchbrechen.

Eine Frau studiert hingebungsvoll die Werbung für Hämorrhoidensalbe über ihr. Ein massiger Typ im »Heimatliebe«-Shirt und mit Union-Tattoo am Unterarm vertieft sich mit der Intensität eines Talmudgelehrten in sein Handydisplay, auf dem er sich durch absurd hohe Level von SuperTetris kämpft. Zwei Teenager haben ihre Airpods wie Scheuklappen aufgesetzt, als könnten die weißen Stöpsel sie vor der Realität des überfüllten Waggons beschützen.

Mit einem Ruck kommt die Bahn zum Stehen. Zweiundzwanzig Körper schwanken synchron wie eine gut einstudierte Tanzformation, ohne auch nur einen Moment ihre sorgfältig kultivierte Teilnahmslosigkeit aufzugeben.

Dann die Durchsage: »Sehr geehrte Fahrgäste, aufgrund einer technischen Störung müssen wir hier kurz warten. Wir informieren Sie, sobald es weitergeht.«

Meiers Blase schreit. Sie schreit: Scheiß auf den Gesellschaftsvertrag!

»Ich muß mal!«, ruft er in die klimatisierte Gleichgültigkeit hinein.

Zwanzig Körper erstarren. Die heilige Ordnung ist gestört. Jemand hat das Unaussprechliche ausgesprochen. Jemand hat zugegeben, daß er einen Körper hat. Mit Bedürfnissen.

»Reiß dich zusammen!«, zischt ein Mann mit Aktentasche. In seiner Stimme schwingt die ganze Autorität der abendländischen Kultur mit.

»Wie wär’s mit konstruktiven Vorschlägen?«, kontert Meier.

Ein älterer Herr grinst verschlagen: »In eine Flasche?«

Tuscheln. Räuspern. Die ersten Risse im Lack der Zivilisation werden sichtbar.

Eine junge Frau mit ‘Refugees Welcome’-Jutebeutel und ‘No Borders, No Nations’-Button - reicht ihm wortlos eine leere Wasserflasche.

Die Revolution beginnt mit einer PET-Flasche.

Meier nickt ihr zu. Ein stummes Einverständnis zwischen zwei Systemsprengern. Er macht sich auf den Weg zur hintersten Ecke des Wagens, während zwanzig Expertinnen und Experten für soziale Verdrängung angestrengt so tun, als bemerkten sie nicht, was hier gerade passiert.

Die große Demaskierung kann beginnen.

 

2. Der Zusammenbruch der Ordnung

 

»WAS MACHEN SIE DA?«, kreischt eine Frau in Businesskostüm. Die erste offen ausgebrochene Hysterie angesichts der drohenden Systemkrise.

»Pissen«, sagt Meier sachlich. Eine simple Kriegserklärung an die bürgerliche Konvention.

»Sie … Sie KÖNNEN das nicht machen!«, ruft die Businessfrau, ihre ‘Female Empowerment’-Brosche blitzt im Neonlicht. Ihre Stimme überschlägt sich in heiligem Zorn. »Das ist ÖFFENTLICHER RAUM!«

»Genau«, sagt Meier, während er den Reißverschluß öffnet. »Öffentlich. Nicht ihr Privatbesitz.«

Die Waggon-Gesellschaft spaltet sich binnen Sekunden in Fraktionen. Die Moralischen - angeführt von der Businessfrau - beginnen hektisch in ihren Handtaschen nach den Telefonnummern von Polizei, BVG-Aufsicht und UN-Menschenrechtskommission zu suchen.

Die Pragmatiker - eine schweigende Mehrheit - schauen betont in die andere Richtung, innerlich bereits dabei, ihre Weltanschauung an die neue Realität anzupassen.

Die Jutebeutel-Revolutionärin lächelt still. Sie weiß: Jede erfolgreiche Revolution beginnt mit einer Provokation des Bürgertums.

»Ich rufe die Polizei!«, droht die Businessfrau.

»Kein Netz«, bemerkt der bullige Tetris-Spieler trocken, ohne aufzublicken.

»Dann … dann … SECURITY!«

»Pulleralarm! Captain Kirk, sofort zwei Sicherheitskräfte in Waggon 7 beamen!«, kommentiert jemand spöttisch.

Ein Ingenieur - bisher unerkannte Autorität kraft seines Dienstausweises - räuspert sich: »Als Vertreter der Verkehrsbetriebe muß ich Sie darauf hinweisen …«, er greift in seine Jackeninnentasche, zieht ein Notizbuch heraus, das übersät ist mit Post-ist zu ‘Agilität’ und ‘New Work’, klappt es auf, liest: »… daß die Notdurft in unseren Fahrzeugen gemäß Paragraph 13b der Beförderungsrichtlinien …«

»Ist das ein Notfall?«, unterbricht ihn die Jutebeutel-Trägerin. »Definieren Sie ‘Notdurft’!«

Philosophische Stille im Waggon. Nur das leise Plätschern von Meiers Protest gegen das System ist zu hören.

»Fertig«, verkündet er und hält die gefüllte Flasche hoch wie eine Trophäe der Rebellion.

»Geben Sie das her!«, ein Mann in Patagonia-Weste und maßgeschneiderter Hose springt auf. »Das muß fachgerecht entsorgt werden!«

»Fachjerecht?« Der Tetris-Spieler mit dem Union-Tattoo – nennen wir ihn der Einfachheit halber »Schrank« – lacht bitter. »Brauchn wa jetz Fachkräfte aus Afrika füa sowat?«

»ICH bin Fachmann«, sagt der schmächtige Westenträger, der tatsächlich schwarz wie die Nacht ist. Er reißt Meier die Flasche aus der Hand. »Senior Consultant für Flüssigkeitsentsorgung bei McKinsey!« Der Schrank mustert ihn abschätzig. »Na, det kann ja wat werden«, brummt er, aber der Westenträger ignoriert ihn bewußt.

Er rennt zur Tür, hämmert auf den Notöffner. Das rote Warnlicht der Notentriegelung taucht die Szene in apokalyptisches Rot.

»Das ist ein Eingriff in den Betriebsablauf!«, ruft der Ingenieur. »Das wird ein Bußgeld von mindestens …«

Zu spät. Die Tür öffnet sich einen Spalt. Der Westenträger kippt die Flasche aus. Ein symbolischer Akt der Gegenrevolution - das System entsorgt den Protest.

Funkenflug. Knistern. Zischen. Kurzschluß.

Die Hauptbeleuchtung erlischt. Das fahle Licht der Notlampen taucht den Waggon in ein gespenstisches Zwielicht.

Im schummrigen Notlicht hört man die Businessfrau flüstern: »Sehen Sie? Das haben wir jetzt davon! Anarchie! Totales Chaos!«

Die Revolution hat ihre erste Märtyrerin: Die Stromversorgung.

 

3. Machtkämpfe im Mikrokosmos

 

»Ruhe bewahren!«, ruft der Ingenieur ins matte Licht. »Als systemrelevanter Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe übernehme ich jetzt das Krisenmanagement!«

»Systemrelevant?« Die Jutebeutel-Revolutionärin lacht höhnisch. »Wer hat Sie gewählt?«

»Ich wurde ernannt!«, kontert der Ingenieur. »Von höchster Stelle!«

»Klassisch!«, schnaubt sie. »Das System ernennt sich selbst!«

Im fahlen Schein der Notbeleuchtung formieren sich die Fraktionen. Einige leuchten zusätzlich mit ihren Handys, was dem Ganzen etwas von einer Geisterbeschwörung gibt. Der Ingenieur hat bereits einen improvisierten Krisenstab gebildet: Die Businessfrau als Pressesprecherin, den Westenträger als Ressourcenmanager, einen pensionierten Beamten als Protokollführer.

»Als erstes brauchen wir eine Bestandsaufnahme«, verkündet der Ingenieur. »Wer hat was dabei?«

»Ein Snickers!«, ruft jemand.

»Halbes Wurstbrot!«

»Drei Fisherman’s Friend!«

»Eine Flasche Wasser!«

»Ein Baby!«, ruft jemand von ganz hinten.

Stille. Das Baby als Joker im Machtpoker.

»Oh Gott, ein Baby!«, ruft die Businessfrau. »Das verändert alles! Wir müssen sofort einen Ausschuß für Kleinkindangelegenheiten bilden!«

»Moment!«, unterbricht der Westenträger. »Erst brauchen wir eine Excel-Tabelle zur Ressourcenverteilung. Das Baby ist nur ein Stakeholder von vielen.«

»Nur ein Stakeholder?« Die Mutter ist empört. »Mein Baby hat Priorität!«

»Vorschlag zur Güte«, meldet sich der Schrank. »Das Baby kriegt det Snickers.«

»Auf gar keinen Fall!«, ruft die Mutter entsetzt. »Wollt ihr mein Baby umbringen?«

»Ebenfalls Einspruch!«, ruft der Snickers-Besitzer. »Eigentumsrechte sind die Grundlage der freien Marktwirtschaft!«

Der Ingenieur hebt beschwichtigend die Hände: »Meine Damen und Herren, ich schlage vor, wir bilden erst mal Arbeitsgruppen. AG Ressourcen, AG Sicherheit, AG Baby …«

»Und wer sitzt in diesen Arbeitsgruppen?«, fragt die Jutebeutel-Revolutionärin spitz. »Wieder die üblichen Verdächtigen?«

Meier, bisher stiller Beobachter der sich formierenden Waggon-Oligarchie, meldet sich zu Wort: »Ich schlage vor, wir stimmen ab.«

»Abstimmen?« Der Ingenieur klingt entsetzt. »Aber dafür bräuchten wir erst eine Geschäftsordnung! Einen Wahlausschuß! Internationale Wahlbeobachter!«

»Ich fordere eine Quote!«, ruft die Businessfrau. »Mindestens 50% Frauen in allen Gremien!«

»Bei neun Frauen und zwölf Männern mathematisch unmöglich«, bemerkt der Westenträger trocken.

»Dann müssen sich eben einige der Herren für eine Transition entscheiden«, kontert die Businessfrau. »Diversity by Design! So machen wir das bei uns in der Firma auch.«

»Wa? Ick soll ‘ne Frau werden?«, brummt der Schrank irritiert. »Dit is selbst für’n Berliner U-Bahn-Standard ‘n bisschen kraß, wa!«

Das Baby beginnt zu weinen.

»Jetzt sehen Sie, was Sie angerichtet haben!«, ruft die Mutter. »Ihr ewiges Abstimmen und Diskutieren! Das Baby braucht JETZT was zu essen!«

»Moment mal«, sagt der pensionierte Beamte. »Haben Sie einen Antrag auf vorzeitige Nahrungsmittelzuteilung gestellt? Formular B-38?«

Die Jutebeutel-Revolutionärin springt auf: »Nieder mit der Bürokratie! Snickers für alle!«

»Kommunismus!«, kreischt die Businessfrau.

»Ruhe!«, brüllt der Ingenieur. »Ich erkläre hiermit den Ausnahmezustand!«

In der entstehenden Stille hört man nur Meier leise kichern: »Und das alles nur, weil ich pissen mußte …«

 

4. Die Revolution

 

»Abstimmung!«, ruft plötzlich jemand aus dem Halbdunkel. »Wer ist noch für den Ingenieur?«

Stille. Nicht mal die Businessfrau gibt einen Mucks von sich.

»Gegenstimmen?«

Ein Wald von erhobenen Händen zeichnet sich im fahlen Notlicht ab..

»Enthaltungen?«

Der Schrank zuckt mit den Schultern: »Level 375 wartet.«

»Damit«, verkündet die Jutebeutel-Revolutionärin feierlich, »ist die technokratische Diktatur des alten Systems beendet!«

»Aber … aber …«, stammelt der Ingenieur, »ich habe doch die Notfallpläne! Die Dienstvorschriften! Das Krisenmanagement-Handbuch!«

»Früher«, sagt Meier trocken, »dachten wir auch, daß Dienstvorschriften die Welt zusammenhalten. Dann mußte ich pinkeln.«

»Wir brauchen eine Verfassung!«, ruft jemand.

»Artikel 1:«, beginnt die Jutebeutel-Revolutionärin, »Die Würde des Menschen ist unantastbar - auch wenn er mal muß.«

»Artikel 2:«, ergänzt die Mutter, »Babys haben immer Vorrang!«

»Artikel 3:«, ruft der Westenträger, »Alle Ressourcen werden nach einem transparenten Performance-Matrix-System verteilt!«

Der spielende Schrank nickt anerkennend. »Der Kleene hat’s doch druff«, murmelt er seinem Nachbarn zu. »Keen Quatsch mit Jerechtigkeit und so. Knallharte Zahlen.«

»Artikel 4:«, fügt der Snickers-Besitzer hinzu, »Privateigentum bleibt Privateigentum - außer bei Babys!«

Die Businessfrau schlägt ihr Buch über ‘Inclusive Leadership’ zu, sie hat ihre neue Rolle gefunden: »Als Verfassungsschutzbeauftragte muß ich darauf hinweisen …«

»Moment!«, unterbricht Meier. »Wer hat Sie zur Verfassungsschutzbeauftragten ernannt?«

»Ich … äh … also … kraft meiner natürlichen Autorität …«

»Schon wieder!«, ruft die Jutebeutel-Revolutionärin. »Die alten Eliten versuchen, durch die Hintertür wieder an die Macht zu kommen!«

Der gestürzte Ingenieur sieht seine Chance: »Als Experte für Verwaltungsstrukturen …«

»RUHE!«, brüllt überraschend der Schrank. Alle verstummen. »Level 375 geschafft. Ich schlage vor: Alle Ämter werden verlost.«

»Verlost?«, kreischt die Businessfrau. »Aber … aber … meine MBA-Abschlüsse!«

»Würfeln!«, ruft jemand.

»Schere-Stein-Papier!«, ein anderer.

»Wer am längsten die Luft anhalten kann!«, ein Dritter.

Das Baby gluckst zustimmend.

»Seht ihr?«, sagt die Mutter triumphierend. »Sogar das Baby ist dafür!«

»Das Baby kann aber gar nicht …«

»DISKRIMINIERUNG!«, brüllt die Mutter.

Meier lehnt sich zurück und beobachtet, wie sich neue Hierarchien aus dem Chaos formen. Erstaunlich, denkt er, wie schnell Menschen neue Systeme erfinden, nur um sich dann sofort wieder darüber zu streiten.

Seine Blase meldet sich wieder.

Diesmal hebt er einfach die Hand: »Antrag auf Einführung des Amtes eines Flüssigkeitsministers …«

 

5. Die neue Gesellschaft

 

Eine halbe Stunde nach Beginn des Stromausfalls hat sich eine neue Gesellschaftsordnung etabliert. Die Jutebeutel-Revolutionärin sitzt als gewählte Vorsitzende des »Rates der Waggonweisen« auf einem improvisierten Thron aus Rucksäcken. Neben ihr der Schrank als »Minister für digitale Transformation und Spieleentwicklung«.

Meier, durch Los zum »Beauftragten für körperliche Grundbedürfnisse« ernannt, verwaltet ein komplexes System aus leeren Flaschen und Verhaltensrichtlinien.

»Tagesordnungspunkt 7b«, verkündet der ehemalige Ingenieur, jetzt degradiert zum Protokollführer: »Antrag auf Erhöhung der Snickers-Rationen für systemrelevante Amtsträger.«

Die Businessfrau, mittlerweile Leiterin der »AG Alternative Währungssysteme«, erhebt sich: »Der Snickers-Index ist seit gestern um 40% gestiegen. Eine Umverteilung würde die Wirtschaft destabilisieren!«

»Gegenantrag!«, ruft jemand. »Wir haben alle ein Grundrecht auf Snickers, weil …«

»Protokollarischer Einwand«, unterbricht der pensionierte Beamte. »Der Antrag auf Zuteilung einer Snickers-Quote wurde bereits in Beschluß 23/4b abgelehnt. Das Snickers muß als Währungsreserve unversehrt bleiben.«

Der Westenträger präsentiert eine auf dem Handy-Display gekrakelte PowerPoint-Folie: »Wenn wir das Snickers als Währungsreserve etablieren und den ROI durch Fisherman’s-Friend-Handel maximieren …«

»Antrag auf sofortige Umverteilung aller Ressourcen!«, ruft eine Stimme aus der hinteren Ecke. »Nieder mit der Snickers-Kleptokratie!«

Die Jutebeutel-Revolutionärin seufzt. Die Macht hat sie schneller verändert als erwartet: »Antrag abgelehnt. Nächster Punkt: Die Einführung einer Waggon-Hymne.«

»Ich hab da gerade was vorbereitet«, meldet sich ein Student der Musikwissenschaft. Er räuspert sich: »Oh U-Bahn, du Hort der Freiheit …«

»Zu pathetisch!«, ruft jemand.

»Zu reaktionär!«, ein anderer.

»Zu wenig diversitätsgerecht!«, ein dritter.

»Vertagung!«, beschließt die Vorsitzende. »Bildung einer Hymnen-Taskforce unter Berücksichtigung aller Stakeholder!«

Der Westenträger hat inzwischen eine komplizierte Währung entwickelt, basierend auf dem unversehrten Snickers als Goldstandard-Ersatz und dem Verfallsdatum von Wurstbroten, wobei Fisherman’s-Friend-Splitter als Kleingeld fungieren.

Die Businessfrau betreibt bereits Insider-Handel mit Bonbonpapieren.

Ein Schwarzmarkt für Handyakkus floriert.

Drei verschiedene Religionen haben sich gebildet, alle überzeugt, daß die technische Störung eine göttliche Prüfung ist.

»Antrag auf Einführung einer Waggon-Staatsbürgerschaft!«, ruft jemand.

»Mit Pässen!«, ergänzt ein anderer.

»Und Einwanderungsgesetzen!«

»Und einer Waggon-Nationalhymne!«

»Oh nein«, murmelt Meier, »nicht schon wieder die Hymne …«

Das Baby schläft friedlich, zufrieden mit dem letzten Rest Babybrei aus Mamas Tasche, während um es herum eine neue Weltordnung entsteht und zerfällt und wieder entsteht.

Im Hintergrund summt leise der Schrank, jetzt auf Level 412: »Oh U-Bahn, du Hort der Freiheit …«

 

6. Die Erlösung

 

Mit einem Ruck erwacht die U-Bahn zum Leben. Die Lichter flackern an.

»Sehr geehrte Fahrgäste«, tönt es aus den Lautsprechern, »die technische Störung ist behoben. Wir fahren in wenigen Sekunden weiter. Wir danken für Ihr Verständnis.«

Betretenes Schweigen im Waggon.

»Aber …«, stammelt die Jutebeutel-Revolutionärin, »… was wird aus unserer Verfassung?«

»Meine PowerPoint-Präsentation zur Optimierung der Snickers-Verwertungskette!«, jammert der Westenträger.

»Die Hymne!«, ruft der Musikstudent verzweifelt. »Wir haben die Hymne noch nicht fertig!«

Die Businessfrau starrt entsetzt auf ihr Handy: »Meine Bonbonpapier-Futures! Der gesamte Markt wird zusammenbrechen!«

»Antrag auf Verlängerung des Ausnahmezustands!«, ruft der pensionierte Beamte.

»Gegenantrag!«, schreit jemand. »Wir bleiben einfach hier!«

Zustimmendes Gemurmel.

»Hier drin«, flüstert die Mutter, »hat wenigstens das Baby Privilegien …«

»Hier gibt es klare Strukturen!«, seufzt der Ex-Ingenieur wehmütig.

»Eine funktionierende Verwaltung!«, ergänzt der Beamte.

»Ein transparentes Währungssystem!«, schwärmt die Businessfrau.

Die U-Bahn setzt sich in Bewegung.

»Halt!«, ruft die Jutebeutel-Revolutionärin. »Volksabstimmung! Wer ist dafür, daß wir …«

Zu spät. Die Türen öffnen sich an der nächsten Station. Draußen steht die echte Welt. Grau. Kalt. Ungeordnet. Ohne Verfassung. Ohne Snickers-Währung. Ohne Hymne.

In den anderen Waggons steigen Leute ein und aus. Nur vor Waggon 7 scheint eine unsichtbare Mauer zu stehen. Niemand will rein, niemand will raus.

Die Türen schließen sich wieder.

»Antrag auf Fortsetzung der Sitzung«, murmelt der Beamte glücklich.

»Gegenantrag!«, ruft Meier und steht auf.

»Sie wollen uns verlassen?«, fragt die Jutebeutel-Revolutionärin ungläubig. »Nach allem, was wir aufgebaut haben?«

Meier lächelt mild: »Ich muß schon wieder pissen. Habe zuviel getankt.«

Die Businessfrau reicht ihm wortlos eine leere Flasche.

Meier schüttelt den Kopf und geht zur Tür. »Nächste Station«, sagt er, »steige ich aus. Da gibt’s ‘ne richtige Toilette.«

»Verräter!«, zischt jemand.

»Reaktionär!«, ein anderer.

Das Baby gluckst spöttisch.

Die U-Bahn fährt weiter durch den Tunnel. An den Fenstern ziehen die Lichter der Stadt vorbei, aber niemand beachtet sie mehr. Drinnen, im Waggon 7, blüht eine neue Zivilisation.

Nur Meier steigt an der nächsten Station aus. Während er über den Bahnsteig flitzt, die Blase drückt ja mächtig, hört er noch schwach den Gesang:

»Oh U-Bahn, du Hort der Freiheit …«

Er muß grinsen. Dann betritt er die Toilette - »Sanifair: 1 Euro« - und erleichtert sich fluchend. Auch eine Form von Kleptokratie, denkt er. Manchmal braucht es nur einen vollen Tank, um die Welt zu verändern. In ‘ner Dreiviertelstunde.

Dann schnurstracks zum Späti. Jetzt ein Bier! Drinnen im Bahnhof darf man ja keins trinken - noch so eine willkürliche Regel der Zivilisation.

Mit der kühlen Flasche in der Hand zieht es ihn magisch zum Döner-Laden gegenüber. Der Geruch von brutzelndem Fleisch erinnert ihn daran, daß ein einzelnes Snickers für zwanzig Leute doch etwas knapp kalkuliert war.

Während er draußen auf der Bank seinen Döner verschlingt und am Bier nippt, wandern seine Gedanken zu den Mitreisenden zurück. Die müßten doch auch irgendwann Hunger kriegen. Durst sowieso. Von den anderen körperlichen Bedürfnissen ganz zu schweigen.

Zeit, die Heimfahrt fortzusetzen. Er geht wieder runter in den Bahnhof - und traut seinen Augen nicht: Der Zug steht immer noch da. Vor den Türen von Waggon 7 hat sich eine Traube von Menschen gebildet. Neue Fahrgäste, die einsteigen wollen, aber nicht dürfen. Nicht können, weil die Zuginsassen in einem Mix aus Sitzstreik und Menschenkette den Zugang versperren

»KEINE ÜBERFREMDUNG!, brüllt der Westenträger, und sein Muskel-Freund ergänzt: »Heimat ist, wo WIR sind!« Die Jutebeutel-Trägerin schwingt die Faust: »Keine Überfremdung! Kein Bevölkerungsaustausch! Keine Unterwanderung unserer autochthonen Waggon-Kultur!«

»Widerstand! Widerstand!«, skandieren andere aus dem Inneren des Waggons.

Ein selbstgemaltes Pappschild erscheint am Fenster: »Waggon 7 bleibt!«

In der Ferne Martinshörner. Uniformierte strömen die Treppen hinunter.

Meier dreht auf dem Absatz um. Das muß er sich nicht antun.

Als er oben aus dem Bahnhof tritt, sieht er die ersten Polizeiwagen einbiegen. Ein Mannschaftswagen. Ein Lautsprecherwagen.

Er nimmt den letzten Schluck Bier. Ab morgen fährt er Rad.

Teile dieses Beitrags (Text, Bild, Audio, Video) wurde mit KI-Unterstützung zusammengeschraubt. Wenn Du wissen willst, wie das funktioniert - Karl lehrt die Anwendung von Künstlicher Intelligenz für Autoren, Illustratoren und Musiker.
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